Reincarnation

Weihnachtsbaum #4 by Georg Vierbuchen, Valentin Wedde and Cornelius Woyke | with a text by Olga Hohmann

Artists:

Neda Aydin | Bella Bram | Milan Dölberg | Andi Fischer

Lou Hampel | Dima Ilko | Sven-Julien Kanclerski

Sophia Lietsche | Nora Lube | Paula Oltmann

Philip Nürnberger | Marie Salcedo Horn | Marten Schech

Nikita Teryoshin | Georg Vierbuchen | Marcel Walldorf

DE

Betriebsfeier der Kunst

Der Verfall des Schenkens spiegelt sich in der peinlichen Erfindung der Geschenkartikel, diebereits darauf angelegt sind, dass man nicht weiß, was man schenken soll, weil man es eigentlichgar nicht will. Diese Waren sind beziehungslos wie ihre Käufer:innen. Sie waren Ladenhüter schonam ersten Tag. (Umtausch nicht gestattet / Minima Moralia, Theodor W. Adorno)

Überschreitungen im überschaubaren Rahmen fördern das reibungslose Funktionieren des Regelsystems zu dem sie die Überschreitung darstellen. Bei der Weihnachtsfeier eines Betriebes ist es zum Beispiel obligatorisch, dass man am Ende des Abends Arm in Arm Versöhnungszigaretten mitder meistgehassten Kollegin raucht, dass man seiner Chef:in, leicht lallend, endlich mal die Meinung sagt und vielleicht sogar ein bißchen mit der Kolleg:in aus der anderen Abteilung knutscht, die man vorher ab und zu im Kopierraum getroffen hatte. All diese „Ausbrüche“ sind aber nicht dazu da, dass man sich am Ende tatsächlich mit der verhassten Kollegin angefreundet hat, dass die Chef:in tatsächlich einige Dinge in der Tagesordnung ändert oder man die Partner:in Zuhause für die Kolleg:in aus dem Kopierraum verlässt. Im Gegenteil: Meistens bestätigen jene Abweichungen die Regel - erinnern uns daran, wie sehr man die eigene Partner:in doch liebt, bestätigen den Hass zur Kolleg:in (die jetzt maximal ein Frenemy ist) und versichern die Chefin darin, dass doch eigentlich alles gut so ist, wie es ist, dass sie das Jahr über die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Das ganze Schauspiel von Versöhnung, Kritik und Begehren ist also nur dafür da, ebenjene Energien loszuwerden, die in einem nach jener Versöhnung, Kritik und Begehren rufen, nur, damit diese Stimmen im restlichen Jahr ruhig sind. Dennoch: Die Systeme, in denen wir uns befinden, und die uns im Rest des Jahres ganz „normal“, unveränderlich vorkommen, werden zu den Feiertagen, getränkt von Alkohol, fettigen Speisen und der Nähe zu mehr oder weniger geliebten Familienmitgliedern, irgendwie sichtbarer. Das ganz normale Drama steht auf der Türschwelle, klopft immer wieder an und wird nicht selten auch mal freundlich hereingebeten.

Zu Weihnachten entstehen also immer Fragen nach Normativität, Tradition und der Überschreitung ebenjener. Ein Ritual jagt das andere - und viele von ihnen befinden sich im Bereich eben jener Gesten zwischen leichter Unlust und gleichzeitiger Überambitioniertheit, die wir zum Beispiel vom Schenken kennen. Die Technik des „Wichtelns“ - oder überspitzt des „Schrottwichtelns“ - bedeutet ja auch, dass man scheinbar wertlosen Gegenständen einen Wert zuspricht, indem man sie weitergibt. Sie wechseln die Besitzerin und darin, hoffentlich, auch ihre Bedeutung und Funktion. Bis sie dann, ein Jahr später, erneut beim Schrottwichteln auftauchen und dabei manchmal sogar zu ihrer ursprünglichen Besitzerin zurückfinden.

Der Druck ist hoch: Die Menge und Auswahl an Geschenken kann zur regelrechten Pein aller Beteiligten werden. Auch der scheinbare Altruismus des Schenkens ist fragwürdig – man schenkt nämlich auch, um selbst ein Geschenk zu bekommen, um sich von Schuld frei zu schenken oder auch um ganz einfach mehr zu schenken als die andere, sich gegenseitig zu übertrumpfen und damit eine Hierarchie herzustellen.

In REINCARNATION - Weihnachtsbaum #4, initiieren Cornelius Woyke, Valentin Wedde und Georg Vierbuchen erneut ein Projekt, in dem es um genau jene Fragen nach Normativität und Abweichung, Konsum und (Wieder)Verwertung geht. Die Ausstellungsreihe ist selbst schon ein Ritual geworden, eine Art ad absurdum geführte Art der Weihnachtsfeier. Die Künstler sammeln nach Weihnachten die übrig gebliebenen Weihnachtsbaum-Gerippe auf, befreien sie von ihren Ästen, so dass nur der Stamm übrig bleibt, lagern sie und verwandeln sie, knapp ein Jahr später in Kunstwerke, die sich manchmal als Gebrauchsgegenstände wie Blockflöten oder Baseballschläger tarnen. Die Relativität von Wert wie wir sie vom marxistischen Konzept des „Warenfetisches“ kennen (der Wert als etwas suggeriert, was der Ware scheinbar natürlich zu eigen ist) könnte kaum offensichtlicher werden als in der Geste, ein Abfallobjekt zu einem Kunstwerk umzudefinieren. Für Weihnachtsbaum #4 sprechen die Künstler eine Einladung aus: Sie geben anderen Künstler:innen eine Carte Blanche und das zugehörige Material, das nackte Holz, aus dem buchstäblich alles werden kann. So entsteht eine Variationsvielfalt in der Umdefinierung des zweckentfremdeten Produktes, die von einem Streichholz über eine Angel bis hin zu einem Gehstock reicht. Ob das ästhetisch eher im Bereich des Geschenkartikels, des Schrottwichtelns oder der aufwendigen Laubsägearbeit befindet, bleibt unentschieden. Ebenso wie der schmale Grat zwischen Überambitioniertheit und Unlust. In jedem Fall aber ist die Geste spezifisch zum Anlass und die Auslegung ebenso mannigfaltig wie sie, im Rahmen von Normativität und Abweichung dieses Feiertages, eben sein kann. Die Grenzen des Möglichen werden großzügig und hingebungsvoll ausgekostet wie bei der Betriebsfeier, nach der zwar scheinbar wieder alles in gewohnten Bahnen läuft. Oder?

Denn vielleicht gibt es ja doch die Momente, in denen die Überschreitung zu einem kleinen, persönlichen Paradigmenwechsel führt. In denen das Hervorbrechen von Begehren, Kritik und Versöhnung kleine Spuren bei den Beteiligten hinterlassen und kleine Änderungen im Gewohnten einführen, wenn auch unbewusst. Das ganz normale Drama steht nämlich in Wirklichkeit immer auf der Türschwelle, nur, dass es sich zu Weihnachten besonders festlich angezogen hat.

ENG

Company party for the arts

The decline of giving is mirrored in the embarrassing invention of gift-articles, which are based on the fact that one no longer knows what one should give, because one no longer really wants to. These goods are as relationless as their purchasers. They were shelf-warmers from the first day. (No exchanges allowed / Minima Moralia, Theodor W. Adorno)

Transgressions that remain within a manageable scope actually help the smooth functioning of the very system of rules they transgress. At a company Christmas party, for example, it is practically obligatory that by the end of the night you stand arm in arm smoking a reconciliation cigarette with the colleague you normally hate the most, that you finally tell your boss - slurring slightly - what you really think, and perhaps even make out a bit with the colleague from another department whom you had previously only bumped into in the copy room. But none of these “outbursts” are meant to result in actually becoming friends with the despised colleague, nor in the boss really changing anything about the agenda, nor in leaving your partner at home for the copy-room colleague. On the contrary: such deviations mostly reaffirm the rule - they remind us of how much we do, in fact, love our partner, they reconfirm our hatred for the colleague (who at best becomes a frenemy), and they reassure the boss that everything is basically fine as it is and that she made the right decisions over the course of the year. The whole performance of reconciliation, critique, and desire serves only to rid ourselvesof the energies that call for reconciliation, critique, and desire - precisely so that those voices will be quiet for the rest of the year. And yet: the systems in which we live, which appear perfectly “normal” and unchangeable throughout the year, become somehow more visible during the holidays, soaked in alcohol, greasy food, and the proximity of more or less beloved family members. The perfectly ordinary drama stands at the threshold, keeps knocking, and is, not infrequently, even kindly invited in.

At Christmas, questions of normativity, tradition, and the transgression of both inevitably arise. One ritual follows another - and many of them inhabit that space of gestures that waver between mild reluctance and exaggerated over-enthusiasm, as we know for example from the practice of gift-giving. The technique of Wichteln - or, more pointedly, Schrottwichteln (whiteelephant gifting) - also means assigning value to seemingly worthless objects by passing them on. They change owners and, hopefully, with that also their meaning and function. Until, a year later, they resurface in another round of white-elephant gifting - sometimes even making their way back to their original owner.

The pressure is high: the quantity and selection of gifts can become sheer torment for everyone involved. Even the seemingly altruistic act of giving is questionable - for one also gives in order to receive a gift oneself, to absolve oneself of guilt, or quite simply to give more than the other person, to outdo one another and thereby establish a hierarchy.

In REINCARNATION – Weihnachtsbaum #4, Cornelius Woyke, Valentin Wedde, and Georg Vierbuchen once again initiate a project concerned precisely with those questions of normativity and deviation, consumption and (re)utilization. The exhibition series has itself become a ritual - a kind of Christmas celebration pushed to the point of absurdity. After the holidays, the artists collect the leftover skeletal remains of Christmas trees, strip them of their branches so that only the trunk remains, store them, and then, nearly a year later, transform them into artworks that sometimes masquerade as everyday objects such as recorders or baseball bats. The relativity of value as we know it from the Marxist concept of the “commodity fetish” - the notionof value being suggested as something inherently natural to the commodity - could hardly become more apparent than in the gesture of redefining a discarded object as a work of art. For Weihnachtsbaum #4, the artists extend an invitation: they offer other artists a carte blanche along with the corresponding material - the bare wood from which, quite literally, anything can be made. This gives rise to a wide range of variations in the redefinition of the repurposed product, stretching from a matchstick to a fishing rod to a walking cane. Whether the result falls aesthetically into the realm of the gift article, the white-elephant present, or an elaborate piece of fretwork remains undecided - just as undecided as the fine line between over-ambition and reluctance. In any case, the gesture is specific to the occasion, and the interpretation is as manifold as it can possibly be within the framework of normativity and deviation that characterizes this holiday. The boundaries of the possible are indulged generously and devotedly, much like at theoffice party after which everything seems to return to its usual course. Or does it?

For perhaps there are moments in which transgression leads to a small, personal shift in one’s paradigm. Moments in which the eruption of desire, critique, and reconciliation leaves subtle traces on those involved and introduces small changes into what is familiar, even if unconsciously. For the ordinary drama is, in truth, always standing on the threshold - only that at Christmas it has dressed itself especially festively.

Opening 11. Dez 6:00 PM